Näh-Szene: “Vom Nähen leben – geht das?”
von Sabine Schmidt
Susi El Hachimi-Schreiber ist eine Kennerin der Näh-Szene. Wir haben uns mit ihr unterhalten – über Stoffe, Stilrichtungen, Designs und das Abenteuer, vom Nähen zu leben.
Wir treffen Susi in ihrem Laden, dem MädelsKramLaden in Siegen. Sie betreibt ihn gemeinsam mit ihren ebenfalls näh- und DIY-süchtigen Kolleginnen.
Der Laden ist wirklich ein El Dorado für DIY-LiebhaberInnen: Kreidefarben, Häkelwolle, Amandas Stoffecke, Franzis wundervolle Puppen, Kleidung für Kinder und Erwachsene, Schmuck mit Feen und Einhörnern (von Martina Loos vom Atelier Aquarellzauber hergestellt), dazu Annettes Schnullerketten, Utensilos und bestickte Lätzchen. Ein Traum.
Vor dem Interview lädt mich Susi zu einem Rundgang durch den MädelsKramladen ein:
Franzis großartige Puppen – jede ein Kunstwerk für sich!
Die süßen Piepmätze sind handmade by Susi.
Martina malt die Motive für ihre Schmuckstücke selbst – zauberhaft, oder?
Wölkchen gehen immer!
Übrigens machen die Mädels vom MädelKramLaden auch immer wieder bei Charity-Aktionen mit. Bei meinem Besuch dort wurde gerade für Weihnachtem im Schuhkarton gehäkelt:
Und dann ist es Zeit für unser Interview:
Susi, du bist ja in unterschiedlichen DIY-Themen Zuhause. Was machst du alles?
Nähen ist mein Haupt-DIY-Thema . Zwischendurch experimentiere ich auch gerne mal mit unterschiedlichen Materialien rum. Modeliermasse, Draht – ich bastel gerne Schmuck und häkel gerne Granny Squares. Aber das Liebste neben der Näherei ist mir das Arbeiten mit Kreidefarbe von Annie Sloane „Chalk Paint“ – ich lackiere gerne alte Möbel, wie Stühle, Schränke oder Bilderrahmen in bunten Farben an und verteile sie bei mir zu Hause.
(Anmerk. d. Red.: Eine ähnliche Kreidefarbe gibt es auch bei Amazon)
Was nähst du am liebsten? Und warum?
Ich nähe am liebsten Kleidung für Frauen. Insbesondere Kleider – meine „Wohlfühl-Kleider“. Ich mag gerne Frauen Kleidung, in der man sich wohlfühlt, sich zu Hause fühlt, sich nicht verstecken möchte und sich bequem bewegen kann und die ein bisschen besonders ist.
Hast du eine Lieblings-Designerin?
Lieblings-Designerin für Schnittmuster? Eigentlich nicht – ich probiere noch sehr viel herum. Nähe viele Klamotten nach, die ich selber habe und ändere daran Kleinigkeiten. Ich mag gerne die japanische Art Kleidung zu nähen – da wird ohne Schnittmuster genäht.
Da empfehle ich gerne die Bücher von Yoshiko Tsukiori „Japanisches Modedesign zum Selbernähen“. Oder „Kleider im japanischen Stil: 25 Projekte mit Nähanleitung“ von Sato Watanabe.
Was inspiriert dich?
Nun ja – das Internet natürlich. Aber insbesondere sind es doch meine Reisen nach Marokko (Anmerkung der Redaktion: Susi ist seit über 17 Jahren mit einem Marokkaner verheiratet) – die sehr lässige Art insbesondere der älteren Frauen (die noch nicht so westlich beeinflusst sind) dort Kleidung zu tragen und die bunten Farben, die ganz selbstverständlich sind – das fasziniert mich immer wieder. In den Kleiderschränken der marokkanischen Frauen findet man wenig beige, dunkelblau oder grau.
Du beschäftigst dich ja auch mit unterschiedlichen Stilrichtungen. Zum Beispiel Boho. Was macht Boho für dich aus? Und wo findet man ihn in deinen Näh-Projekten wieder?
Boho lässt sich sehr schwer in eine Definition pressen – der Stil ist sehr vielfältig. In Boho vereinen sich viele Stilrichtungen, wie Ethno, Vintage, Folklore, Art Deco. Boho ist deshalb bei jedem ein bisschen anders.
Boho im Bezug auf Mode steht für einen lässigen, teilweise auch exzentrischen Stil, der für Selbstverwirklichung steht. Lagenlooks, Maxi-Kleider und lange Röcke im Print-Mix; Muster wie Paisley, Blumen, Batik und Ethno-Motive, viel Schmuck und viel Farbe – das ist die klassische Definition.
Für mich bedeutet es aber auch ein Oversize Herren Hemd kombiniert mit Quasten Ohrringen und Turnschuhen. Erlaubt ist was gefällt – wichtig sind für mich Stilbrüche und Spaß an Kleidung und am Styling. Es darf auch ruhig mal ein Stoff mit lustigen Tiermotiven oder bunten Eistüten sein. Man darf es nicht zu ernst nehmen.
Der Boho Style ist lässig (teilweise sogar nachlässig!) und nicht sexy. Es geht darum, sich mit seiner Kleidung auszudrücken. Und genau so nähe ich auch.
Übrigens: Hast du Lust, selbst mal Boho auszuprobieren? Wie wär’s mit Pizzatechnik? Eine verrückte Mischung aus Boho und Bollywood! Ein Traum! 🙂
Wie nimmst du aktuell die Näh-Szene wahr?
Als nach wie vor riesig und unglaublicherweise immer noch als wachsend!
Was hältst du von DaWanda, Etsy & Co?
Ich glaube, DaWanda und Etsy haben nicht das halten können, was sie versprochen haben. Es ist eine gute Plattform zum Kauf und Verkauf von handgemachten Sachen oder Material für handgemachte Sachen. Für mich hat es leider immer weniger Bedeutung.
Was ist dein Lieblingstoff/deine Lieblingsstoffe?
Ich merke, dass ich doch immer mehr Wert lege auf hochwertige Stoffe. Gerade für Kleidung sind hochwertige Stoffe unverzichtbar. Viskose, Baumwolle und Jersey – damit arbeite ich hauptsächlich. Und dann natürlich gerne bunt!
Was ist ein unverzichtbares Näh-Tool für dich?
Meine Nähmaschinen? Nähmaschine und Overlock sind jeweils von Toyota und ich liebe sie. Die Nähmaschine „Oekaki“ geht durch mehrere Stofflagen wie Butter und man kann sogar mit ihr Nähmalen. So sieht sie aus:
Die Overlock von Toyota ist auch super – das Einfädeln ist sehr einfach!
Wichtiges Nähtool sind für mich meine Zwillingsnadeln. Mit einer Coverlock komme ich nämlich nicht gut zurecht und die Zwillingsnadeln erfüllen für mich den gleichen Zweck – sie machen schöne Nähte und Säume.
Mit dem Nähen selbstständig sein – geht das?
Klar geht das. Man muss nur seine Nische finden – wie überall. Sei es mit dem Designen von Stoff, mit dem Selber Nähen – mit dem Handel von Material. Die Branche ist riesig. Man darf nur nicht unterschätzen, was es bedeutet selbständig zu sein.
Das fängt bei den Steuern und der Versicherung an und hört bei Rechtsfragen und CE Kennzeichnung lange noch nicht auf.
Das Finanzamt und der Gesetzgeber machen keine Unterschiede zwischen groß und klein – wer näht oder produziert, um zu verkaufen, unterliegt den gleichen gesetzlichen Bestimmungen, wie die Großen.
Vom Nähen leben – ein Traum, den viele Leute im Handmade-Bereich haben – wie realistisch ist das überhaupt?
Dass das geht, haben ja schon viele gezeigt.
Wobei ich immer denke, dass die Produktion, also die wirkliche Handarbeit, immer noch am Schlechtesten bezahlt wird. Design, Handel mit Material oder Zubehör – das sind die Bereiche, wo man Geld verdienen kann.
Hast du ein Lieblings-Nähbuch?
Japp – Granny Chic: Sahnestücke aus Omas bunter Vintage-Stube, neu entdeckt und selbst gemacht. Von Tif Fussell und Rachelle Blondel.
Erzählst du mir etwas über euer Projekt „MädelsKramLaden“?
Was gefällt dir daran besonders?
Der MädelsKramLaden ist eine Frauen-Kooperative – wir betreiben zu 8 Frauen einen Laden in Siegen Eiserfeld für Handgemachtes.
Wir verkaufen unsere selbstgemachten Sachen von Kleidung, über Taschen, Accessoires, Schmuck, Papeterie, Deko usw. Daneben aber auch Material zum Selbermachen, wie Stoffe und Bänder, Knöpfe, Kurzwaren.
Viel Spaß machen uns auch immer die Workshops und Nähkurse, die wir anbieten. Wir sind nicht nur Laden, sondern auch Treffpunkt für alle Handmade Begeisterten. Mir gefällt das Prinzip der Kooperative daran besonders.
Wir teilen uns die Ladenschichten und alle finanziellen Verpflichtungen, wie Miete oder Versicherung und fahren somit ein relativ geringes Risiko.
Wir haben zu 8 Frauen insgesamt zusammen 17 und bald sogar 18 Kinder – jede Frau kennt wohl die Probleme, die es mit sich bringt Beruf und Kinder unter einen Hut zu bringen. Wie selten es Arbeitsmodelle gibt, die wirklich Familienfreundlich sind. Deshalb haben wir uns mit dieser Kooperative unser eigenes Arbeitsmodell geschaffen.
Kinder sind im MädelsKramLaden immer willkommen. Wenn ein Kind krank wird, springt eine der anderen Frauen ein. Die Öffnungszeiten und damit unsere jeweiligen Schicht im Laden, richten sich danach, wann wir am besten können mit Rücksicht auf Kinder und Familie.
Ich denke, unser Modell ist ein gutes Modell, um sich im Handmade Bereich selbstständig zu machen – nicht als Einzelkämpfer, sondern gemeinsam mit geteiltem finanziellem Risiko, geteiltem zeitlichem Aufwand. Und zusammen macht es auch noch mehr Spaß!
Ihr verkauft ja auch Näh-Sachen im MKL.
Worauf stehen eure Kunden besonders?
Stoffe, Stoffe, Stoffe.
Ein Klassiker von Swafing.
Glitzer, Glitzer, BLiNG, BLiNG: Sweats und Jerseys mit Einhörnern und Flamingos sind DER Renner!
Wenn du drei Näh-Wünsche frei hättest – welche wären das?
Hm… mehr Zeit, ein größeres Nähzimmer und wahrscheinlich auch einen persönlichen Assistenten, der oder die mir das Nähte Auftrennen abnimmt…
Hast du ein Herzens-Projekt?
Natürlich hängt mein Herz am MädelsKramLaden… der Plan ist sich weiterzuentwickeln. Vielleicht eine Filiale zu eröffnen. Unseren Online Shop www.maedelskramladen.com ans Laufen zu bringen und irgendwann komplett davon zu leben.
Ich persönlich möchte gerne noch viel mehr Kleidung nähen. Vor allem für Frauen, die bislang noch nicht so den Spaß an Mode und Styling entdeckt haben, weil sie sich nicht in ihrem Körper wohlfühlen. Viele versuchen sich möglichst unauffällig zu kleiden – das ist so schade!
Ich habe jetzt schon mehrmals die Rückmeldung bekommen: ich hab dein Kleid angezogen und es war, wie für mich gemacht! Ich fühle mich so wohl darin! Wenn sich Frauen in meinen Klamotten so wohlfühlen, dass sie vor die Haustür gehen und sagen: Hey! Was kostet die Welt – das wäre mein Traum!
Vielen Dank für das Interview, Susi!
Zur Homepage des MädelsKramLadens geht’s HIER LANG. Dort findet ihr auch den Online-Shop!
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Happy simple sewing,
deine Sabine
P. S.: Kennst du schon unsere Sammlung der coolsten Näh-Hacks?
P. P.S.: Hier verraten wir die Top Ten des beliebtesten Näh-Zubehörs!
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